Steven C. Harvey
„Diejenigen unter uns, die sich mit dem Surrealismus wie durch eine Nabelschnur verbunden fühlen, mögen beruhigt sein von der endlosen Fähigkeit der Welt, durch die Possen des sie beherrschenden Wesens der surrealistischen Fantasie ständig neues Material zu liefern. In seinem Voranschreiten erfindet und zerstört der Mensch, strebend und fehlend, und zieht hinter sich eine Spur, aus der die frische Saat poetischer Funken aufgehen mag. Aus einer Handvoll dieser Samenkörner gingen die Kernpunkte derVehicles-Reihe hervor: das Streben des 20. Jahrhunderts nach einer Science-Fictionartigen Zukunft, das Wissen des 21. Jahrhunderts um den Tod dieser Zukunft, die gegenwärtige Aushöhlung der Aufklärung und die nie dagewesene moralische Schizophrenie des Menschen des 21. Jahrhunderts, der trotz seines guten Charakters auf das Vergießen von Blut und giftiger Abwässer nicht verzichten kann, verfolgt von den ihn plagenden Geistern seiner eigenen Schutzmythologien.“ (Steven C. Harvey
Steven C. Harvey (1967, Stafford, England) entwirft düstere Vision einer Science-Fiction-Welt, kein besseres Morgen, vielmehr einen dystopischen, also pessimistischen Blick auf eine ins monströse geartete und von Maschinen bestimmte Welt. Fasziniert von den futuristischen Vorstellungen seiner Jugend, fasziniert vom Design von Flugzeugen und Automobilen der 1970er Jahre, spricht der Künstler von seinen Zeichnungen auch als Reaktion auf die Frustration angesichts heute nicht realisierter Zukunftsversprechen. Statt dessen bedroht in seinen Augen die nun eingetretene, ehemalige Zukunft, in einer realen Übermacht der Technik und in einem unmäßigen Ressourcenverbrauch den Fortbestand der Natur, der Menschheit und der Menschlichkeit.
Steven C. Harveys detailverliebte Zeichnungen erinnern in ihrer visionären Kraft an die Carceri (1745) Giovanni Battista Piranesis ebenso wie an die Caprichos (1799) Francisco de Goyas, dessen Diktum, „Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer“ Pate gestanden zu haben scheint. Zudem sind die Zeichnungen nicht ohne die visuellen Welten des Kinos zu denken. Der Betrachter findet sich erinnert an Seherlebnisse aus Filmen wie Star Wars, Matrix, 2012, Soylent Green oder Terminator 3. Gleichzeitig irritieren Zitate aus der christlichen Kunstgeschichte. Die Symbole und Heilsversprechen der christlichen Religionen wirken in dieser heillosen Welt wie ausgelegte Köder, sie sind ein atavistischer Dekor und haben nur noch die Funktion ästhetischer Camouflage in einer sich verselbständigt habenden Maschinenwelt. Der Mensch scheint noch geduldet, ist aber nicht mehr der Hauptdarsteller, vielmehr sieht man ihn meist als Massenwesen, beschäftigt mit der Steuerung, der Wartung oder gar dem Antrieb der dinosaurierartigen Fahrzeuge, während andere in gedankenloser Blindheit sich dem Konsum hingeben und ihre Kinder in der natürlichsten Selbstverständlichkeit in dieser entmenschlichten Welt aufziehen. Die Natur ist nur noch als ausgebeutete zu sehen. Gleich gewaltigen Archen bergen manche Maschinen zwar Tiere, diese jedoch scheinen weniger der Rettung vor der Sintflut zu harren, als auf dem Weg ins Schlachthaus zu sein. Oder sie hängen elend wie zahlreiche Elefanten, Symbol par excellence für eines der bedrohtesten wilden, aber auch sanftmütigen und intelligenten Tiere, als winzige Details inmitten einer ungeheueren Maschinerie.
Steven C. Harvey sieht seine Arbeiten keineswegs als Zukunftsvisionen, er versteht sie vielmehr, in Anlehnung an den Science-Fictionautor J. G. Ballard, als Bilder aus der Innenwelt: „als Katalog der monströsen Gegenwart sind sie wie Berichte von der dreckigen Baustelle eines neuen, unterbrochenen Turmbaus von Babel.“