Sin Wai Kin
In ihrer/seiner künstlerischen Praxis, zu der Performance, bewegte Bilder, Schrift und Drucke gehören, arbeitet Sin Wai Kin (1991, Toronto) mit Elementen der Phantastik, um Annahmen bezüglich objektiver Wahrheiten und der Realität aufzulösen. Ihre/seine außer- und post-menschlichen Drag-Avatare und Alter Egos versuchen, normative Prozesse des Begehrens, der Identifikation und der Verdinglichung zu unterbrechen, indem sie die Erwartungen des Betrachters in Bezug auf Geschlecht und binäre Konstrukte unterwandern, um die Fluidität des Körpers zu erkunden.
Die einkanaligen, in Endlosschleife gespielten Videos The Universe, Change, Wai King und The Storyteller (alle 2023) sind Erweiterungen der fortlaufenden Erkundung der/des Künstler•in/s von Drag als einer Möglichkeit, die phantastische Fiktion zu verkörpern. Beide Videos beinhalten Figuren aus Sins früheren Arbeiten, die die/der Künstler•in immer wieder neu erfindet, in diesem Fall mit kunsthistorischen Bezügen. The Universe, mit der floralen Gesichtsbemalung des Darstellers spielt auf die mächtige männliche Rolle des Jìng in der Kanton-Oper an und bezieht sich direkt auf Lu Zhis (1496–1576) Gemälde Der Schmetterlingstraum (um 1550): „Ich identifizierte mich damit, weil meine Wirklichkeit auf manche wie eine erfundene Fantasie wirkt; wir leben in einer Welt, in der es viele verschiedene Realitäten nebeneinander gibt.“ (1) In Wai King wurde der Schönling aus It's Always You (2021) in Caravaggios (1571–1610) Narziss (1597-1599) verwandelt und neu interpretiert. In Change stellt Sin Frida Kahlo (1907–1954) in ihrem Selbstporträt mit abgeschnittenem Haar (1940) nach, um ihre/seine während der Pandemie sich manifestierende maskuline Seite anzuerkennen und zu erkunden. The Storyteller, der in einer futuristischen Weltraumumgebung spielt, ist von der männlichen Autoritätsfigur des Nachrichtensprechers inspiriert und ist ein wiederkehrender Charakter in Sins Universum und war zuvor bereits in Today's Top Stories (2020) aufgetaucht. Diese sich ständig weiterentwickelnde Figur zeugt von den Untersuchungen der/des Künstler•in zur Geschlechterhybridität und zur Zweigeschlechtlichkeit, während sie gleichzeitig, wie der/die Künstler•in behauptet, Vehikel sind, um persönliche Aspekte ihrer/seiner eigenen komplexen Identität zu verarbeiten.
(1) Skye Sherwin, „Sin Wai Kin: Dreaming of Me”, in: ArtReview, 8. November 2022.