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Face-à-Face (Audio- and Miniguide)

Face-à-Face (Audioguide)

Die Ausstellung Face-à-Face ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zweier bedeutender Museen in der Großregion und auf europäischer Ebene: der Modernen Galerie – Saarlandmuseum Saarbrücken und dem Mudam Luxembourg – Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean. Der intensive Dialog, der sich zwischen ihren jeweiligen Sammlungen entfaltet, hebt die Besonderheiten der beiden Institutionen hervor, deren Geschichte in Saarbrücken bis in die 1920er-Jahre zurückreicht und in Luxemburg in den 1990er-Jahren ihren Anfang nimmt.

Zwei Sammlungen als Spiegel der Geschichte ihrer Institutionen

In Saarbrücken wurde 1924 damit begonnen, moderne Kunst für das Staatliche Museum zu sammeln, dessen administrativer Status sich im Lauf der Zeit verändern sollte und das 1952 in Moderne Galerie umbenannt wurde. Aufgrund ihrer Lage in Grenznähe setzt sich die Sammlung der Modernen Galerie im Wesentlichen aus Werken der französischen und deutschen Avantgarden des späten 19. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammen.

Bewusst stammt, mit einer Ausnahme, keines der aus der Sammlung der Modernen Galerie entliehenen Werke aus der Zeit nach den 1960er-Jahren. Diese Auswahl unterstreicht die Bedeutung der künstlerischen Avantgarden. Ältestes Werk der Ausstellung ist Auguste Rodins Kleinplastik Polyphème aus dem Jahr 1888, alle übrigen Werke stammen aus dem 20. Jahrhundert und stehen für wesentliche künstlerische Entwicklungen der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts wie Expressionismus, Surrealismus und Konstruktivismus bis hin zur Gruppe ZERO aus den späten 1950er-Jahren. Darüber hinaus spiegelt die Werkauswahl zwei der Sammlungsschwerpunkte – die Fotografie, die dank des führenden Vertreters der Subjektiven Fotografie, Otto Steinert, stark präsent ist, sowie der Nachlass Alexander Archipenkos.

Die Sammlung des Mudam konzentriert sich hingegen auf die darauffolgenden Jahrzehnte und bildet einen Kontrapunkt zu diesem bedeutenden historischen Ensemble. Sie bietet ein weites und vielfältiges Panorama des heutigen Kunstschaffens, nicht nur im Hinblick auf künstlerische Techniken – wobei insbesondere das bewegte Bild einen bedeutenden Platz einnimmt –, sondern auch über die Präsenz vieler Künstlerinnen und die Diversität ihrer Herkunft.

Ein Ausstellungsparcours als Beziehungsgeflecht

In einem Ausstellungsparcours, der etwa neunzig Werke von über fünfzig Künstler·innen vereint, bewegt sich Face-à-Face entlang moderner und zeitgenössischer Kunst. Die Ausstellung macht deutlich, wie sehr Künstler·innen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bis in unsere heutige Zeit Darstellungsweisen hinterfragen und mit neuen künstlerischen Methoden experimentieren und dabei zugleich Bezug auf historische Ereignisse und aktuelle gesellschaftliche Problematiken nehmen. Verteilt auf die beiden Säle im Erdgeschoss, folgt die Ausstellung weniger einer chronologischen Abfolge als einer Hängung, aus der ein Geflecht aus Beziehungen erwächst. Zwischen den Epochen entstehen Resonanzen, manchmal in formaler Hinsicht, oft in Hinblick auf methodische Ähnlichkeit. Auch wenn manche Arbeiten verwandt erscheinen, bleibt es wichtig zu betonen, dass sie aus unterschiedlichen künstlerischen und historischen Kontexten stammen.

Ostgalerie

Die Themen der Metamorphose, der Verwandlung der Materie, der optischen Phänomene und der Wahrnehmung des Raumes bestimmen die Auswahl der Werke in der Ostgalerie. In ihnen zeigt sich die Vielfalt formaler Experimente sowie der Wille der Künstler·innen, sich mit gesellschaftlichen Strukturen und politischen Fragen auseinanderzusetzen.

Der in eine schwarz-weiße Atmosphäre getauchte, weitgehend offene Raum präsentiert sich wie eine Landschaft mit fließenden Konturen, aus der das Werk Black Sun (Schwarze Sonne) (1964) von Otto Pieneherausragt, ein schwarzer, von einem Flammenwerfer gezeichneter Kreis auf leuchtend rotem Grund. Der Künstler beschwor mit Feuer und Sonne zwei elementare wie zerstörerische Kräfte, deren visuelle Wirkung über die Begrenzung der Leinwand hinausreicht. Mit seinem besonderen Gespür für Naturphänomene entwickelte er neuartige künstlerische Experimente, wobei er die Ordnung der Dinge erschüttern und unsere Beziehung zur Umwelt auf eine neue Grundlage stellen wollte. Piene gründete gemeinsam mit Heinz Mackdie Gruppe ZERO und entwickelte Werke wie die Reflektorenstele (1966–1968), bei der es um die Spiegelung des Sonnenlichtes geht.

Einige Jahrzehnte früher und in anderer Form finden wir das gleiche Bedürfnis, Grenzen zu überschreiten, im Werk von Hans Bellmer und Max Ernst, zwei dem Surrealismus zuzuordnende Künstler. Ernsts Gemälde Ils ont été trop longtemps dans la forêt (Sie haben zu lange im Wald geschlafen) (1926) setzt auf das Unbewusste und den Traum. Die das Bild bevölkernden Mischwesen von unklarem Äußeren erinnern in ihrer Form an die vegetative Morphologie der Skulptur von Tobias Putrih oder an die erfindungsreiche Collage von Germaine Hoffmann. Vom Geist des Ortes verwandelt, verweisen sie auch auf die dichten tropischen Wälder, die Emily Bates auf der japanischen Insel Amami Ōshima fotografierte, wo alte schamanische Traditionen von großer Spiritualität von den alten Frauen am Leben gehalten werden, oder auf jene, die Janaina Tschäpe malte, um ihrer Sehnsucht nach einem Verschmelzen mit der Opulenz des brasilianischen Dschungels Ausdruck zu verleihen.

Ein ähnlich intensiver Lebensdrang ist in der druckgrafischen Reihe Les Formes vivantes (Lebendige Formen) (1963) von Alexander Archipenko zu spüren. Sein Festhalten an der menschlichen Form weicht hier der Abstraktion. Es geht weniger darum, körperliche Details abzubilden, als die Autonomie dynamischer, wie belebt wirkender Formen zu beschreiben. Darin folgen sie dem Prinzip zufälliger Schöpfung, das die Modelle von François Roche auszeichnet, die wiederum in strengem Gegensatz zur geometrischen Raumplastik (1976) von Norbert Kricke steht. Roche spekuliert auf einen visionären Städtebau, der auf einem Prinzip selbstständigen Wachstums basiert und die Normen globalisierter Planung ablehnt. Seine Modelle, die weniger an Architekturen als an mineralische Ablagerungen erinnern, ähneln den Unebenheiten im Relief (1959) von Jan Schoonhoven, dem als Verfechter der informellen Kunst die bloße Materialität der Bildoberfläche als Ausdrucksmittel genügte. Auch die Skulpturen von Giulia Cenci in ihrer komplexen Amalgamierung industrieller Materialien und gefundener Dinge, das langsame Morphing von Dutzenden von Asphaltstücken wichtiger europäischer Straßen bei Michel Paysant oder das immersive Video von Mark Lewis geben dem Phänomen der Materialverwandlung Gestalt, ohne dabei politische Fragen außer Acht zu lassen.

Ein Ansatz, der sich stärker für visuelle Experimente als für die präzise Wiedergabe des Motivs interessierte, findet sich in den 1950er-Jahren in der Strömung der Subjektiven Fotografie. Die raffinierten Verschachtelungen architektonischer Elemente in Grand Palais (Großpalast) (1955) vom führenden Kopf dieser Bewegung, Otto Steinert, zeugen von großem Gespür für den Bildausschnitt und die Bildmontage im Dienste eines formalen Erfindungsreichtums. Die Arbeit seiner Schülerin Monika von Boch versucht auf ähnliche Weise in einem Spiel aus Kontrast und Wiederholung die Strukturen in den fotografierten Industrieobjekten und Naturelementen hervorzuheben. Das Motiv entwickelt eine eigenständige grafische Sprache und befreit sich von der Identifizierung mit dem abgebildeten Sujet. In den benachbarten zeitgenössischen Werken, den Fotolithografien von Lutz & Guggisberg oder dem Video von Yazid Oulab, in dem Weihrauchschwaden einen Schriftzug formen, wird das Motiv sogar bis an die Grenze seines Verschwindens geführt.

Der unendliche Wirbel der schwindelerregenden Skulptur von Lee Bul oder die auf einem fragilen Gleichgewicht vermeintlich gegensätzlicher Materialien wie Glas und Stein beruhende Assemblage von Alicja Kwade bilden ein Echo zu den fotografischen Arbeiten von Steinert und von Boch. Sie verweisen zudem auf die künstlerischen Recherchen der 1920er-Jahre, die die Künstler·innen der Moderne durchführten, um mit überkommenen Darstellungsweisen zu brechen und sich der Idee einer zukünftigen Welt zuzuwenden. Das Spiel mit der Bildtiefe, die sich in Lyonel Feiningers Gemälde Lüneburg (1924) durch farbige Flächen und kantige Formen Schritt für Schritt ergibt, beeinflusst deutlich die Wahrnehmung der architektonischen Umgebung. László Moholy-Nagy wiederum arbeitet in seiner Reihe der Konstruktionen (1923) an der Verräumlichung der Bildfläche durch eine dynamische Kombination von Flächen, Linien, Oberflächen und Farben. Die gewagten und teilweise sehr eng gehaltenen Bildausschnitte der Reihe Baukonstruktionen (1920–1929), von Albert Renger-Patzsch, eines Fotografen aus dem Umfeld der Neuen Sachlichkeit, weisen in die Richtung einer geometrischen Abstraktion von industriellen Konstruktionen. Und dann gibt es auch noch das Konzept unerschöpflicher Variationsmöglichkeiten in den Bildgedichten von Dom Sylvester Houédard, die sich mit der Typografie beschäftigen.

Westgalerie

Der Körper, dargestellt in allen denkbaren Dimensionen, steht im Mittelpunkt des Parcours in der Westgalerie. Als Träger alter und neuer Mythen dominiert er in kunstvoller Präsenz den Raum. Er steht auch metaphorisch für eine Art inneren Rückzug oder aber sieht sich dem Tumult der Welt ausgesetzt.

Im gezeichneten Strich von Henri Matisse fügt sich der Körper harmonisch in seine Umgebung. In der klaren Linienführung seiner Zeichnung gelingt es dem Künstler, das Wesen der ihm nahestehenden Modelle zu erfassen. Das Brustbild von Roland Fischer, die Zeichnungen von Isabelle Marmann oder der Mann im gelben Mantel (1929) von Josef Scharl teilen diese grafische Zurückhaltung und erlauben eine direkte Beziehung zum dargestellten Modell. Dieses Gefühl der Nähe durchzieht auch Katinka Bocks Installation. Es wird jedoch durch das romantische Gefühl ausgeglichen, das von der Silhouette eines einfachen Brettes ausgeht, die wiederum die menschliche Präsenz in die Unendlichkeit des Horizonts einbettet.

In Alexander Archipenkos zwischen 1909 und 1959 gefertigten Skulpturen findet die Spannung zwischen körperlichem Volumen und räumlicher Leere ein Gleichgewicht in den Kurven. Der Künstler orientiert sich an der Skulptur der Antike und spielt auf seine ganz eigene Art mit der Vereinfachung. Der von ihm zitierte, für den klassischen Kontrapost typische Hüftschwung erinnert an die Posen in den Fotos von Nan Goldin. Ihre mit großer Empfindsamkeit festgehaltenen Momente, die sie mit Freund·innen verbrachte, zeichnen nicht nur das Porträt einer ebenso starken wie zerbrechlichen Underground-Community, sie spiegeln auch die Suche nach dem Selbst im Blick der anderen.

Auch wenn mit Henri Laurens und Fernand Léger zwei dem Kubismus nahestehende Künstler die weibliche Figur in einer Vielfalt von Formen darzustellen wissen, versucht Letzterer in La Baigneuse au tronc d’arbre (Die Badende mit dem Baumstumpf) (1933) doch, das Thema neu und aus dem Geist der Moderne zu begreifen und der malerischen Behandlung der Frau die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie dem ihr zur Seite stehenden Baumstamm. Auf diese Weise gelingt es ihm, unseren Blick, der üblicherweise die menschliche Figur zuerst betrachtet, neu zu lenken. Während das Relief von Auguste Renoir die mythologische Szene Le jugement de Pâris (Das Urteil des Paris) (1914) zeigt, aktualisiert das fotografische Panorama des Künstlerduos Beaurin Domercq den antiken Kampf auf theatralische Weise. Die Werke von Kathia St. Hilaire und Edward Lipski beziehen sich hingegen auf nicht-europäische Traditionen. St. Hilaire würdigt die Kultur Haitis, in der sie ihre Wurzeln hat. Lipski bezieht sich auf die scheinbar unveränderlichen Bildnisse bestimmter asiatischer Gottheiten und gibt ihnen eine verwirrende, Fragen aufwerfende Form.

Der Zyklop Polyphème (Polyphem) (1888) wurde von Auguste Rodin in dem Moment dargestellt, in dem er den Felsen bricht, um ihn zu schleudern. In seinem Körper spiegeln sich das kommende Drama und die Spannung des Augenblicks. In für die Arbeit des Künstlers typischer Weise scheint sich die Figur so aus der Materie zu lösen wie die schamanische Gestalt bei Rui Moreira aus dem Unterholz tritt oder wie Andrea Mastrovito sich selbst auf einem weißen Blatt Papier zeichnet, um den in seinen Augen perfekten Akt der Schöpfung darzustellen. Die Tänzerin (1916) von Rudolf Belling bewegt sich mit spiralförmigem Elan. Die Ecken und gebrochenen Linien der Skulptur zeugen vom Einfluss des Kubismus und des Futurismus. Sie regen dazu an, die Figur von allen Seiten aus zu betrachten; nicht mehr nur ein einziger Standpunkt ist möglich, sondern viele. Belling folgt in seinen Arbeiten zum Thema Tanz seinem Zeitgenossen Archipenko. Die bewegten Schattenfiguren von Silke Otto-Knapp schweben demgegenüber im Raum und neigen zur Abstraktion.

Die Stimmung in Giorgio de Chiricos Gemälde Malinconia (Melancholie) (1955-1956) wirkt im Vergleich wie erstarrt, um sich ganz auf die Präsenz einer die mythologische Figur der Ariane darstellenden Skulptur zu konzentrieren. Die Zeit scheint stillzustehen, so wie auch in dem gedehnten Augenblick, den die Künstler von Little Warsaw nutzen, um die Büste der ägyptischen Königin Nofretete, einer über 3000 Jahre alten archäologischen Kostbarkeit, auf einen eigens für diese Gelegenheit angefertigten Bronzekörper zu setzen. Das in der Nachbarschaft zu der großformatigen abstrakten Komposition von Helmut Federle hängende Bild von de Chirico teilt mit diesem eine metaphysische Dimension, die beiden Künstlern am Herzen lag.

Das symbolische Gewicht der Bilder drückt sich im großen Relief von Pascal Convert schließlich in den Körpern aus. Der Künstler hinterfragt ihre kulturelle und politische Dimension wie auch ihren Einfluss auf die Konstruktion des Erinnerns und der Geschichte. Die dargestellte Szene beruht auf einer 1990 im Kosovo aufgenommenen Fotografie und befindet sich gegenüber dem Gemälde Judenfriedhof in Randegg im Winter mit Hohenstoffeln (1935) von Otto Dix sowie der Zeichnung von Ludwig Meidner – Werke, in denen sich die beiden heraufziehenden Weltkriege abzeichnen. Bei Nedko Solakov und George Grosz geht es satirischer zu. Grosz zeichnet in seiner Kleinen Grosz Mappe (1917) die dunklen Seiten des deutschen Kleinbürgertums und die Verlierer·innen der Gesellschaft – Arbeiter·innen, Waisen und Kriegsversehrte. Sein lebhafter und messerharter Strich trifft die Gier und die Scheinheiligkeit der Gesellschaft während und nach dem Ersten Weltkrieg genau. Ähnlich scharf ist der Strich bei Solakov, der die Irrtümer der politischen Entscheidungsträger·innen in Bulgarien während der Zeit des Kommunismus entlarvt.