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Workers in Song ist die jüngste Version eines fortlaufenden Gemeinschaftsprojekts des Komponisten Billy Bultheel (1987, Brüssel) und des bildenden Künstlers James Richards (1983, Cardiff). Ihre immersive audiovisuelle Installation und Performance nimmt die Besucher:innen mit auf eine Reise durch einen Orkan aus Originalmaterial und Zitaten, der die Vergnügungen von Online-Dating, Underground-Filmen und Subkulturen vergangener Epochen ebenso einschließt wie die dunkleren Facetten romantischer Subjektivität. Im Mudam präsentieren Bultheel und Richards am 28. März 2024 eine choreografierte Performance mit Live-Musik und Film, zusammen mit einer Installation, in der sie die Spannung zwischen Lebendigkeit, Sentimentalität und Begehren in Abwesenheit eines lebenden Körpers erforschen.
Workers in Song ist als modulare, offene Struktur konzipiert und funktioniert wie ein sich ständig entwickelnder Organismus, der sich an den spezifischen Kontext jeder seiner Präsentationen anpasst. Die aktuelle Version wird in einer Umgebung inszeniert, die die Künstler speziell für den großen gekurvten Raum in der West- Galerie des Mudam entworfen haben. Inspiriert von der Frühzeit des Kinos, als Stummfilme noch von Live-Musik begleitet wurden, zeitgenössischeren Präsentationsformaten mit Mixtapes oder erweiterten Kinoevents, setzen Bultheel und Richards eine dynamische Musik als Rahmen, in den sie ihr eigenes Originalmaterial in einen Dialog mit Werken anderer Künstler:innen stellen – ohne dabei die einzelnen Teile zu einem zusammenhängenden Ganzen zu fügen. Sie mischen vielmehr ihr eigenes Filmmaterial mit Gedichten, Filmen und der Musik anderer Urheber:innen und entführen das Publikum in nächtliche Landschaften und dystopische, brutalistische Innenräume. Ihre Installation ist von einer düsteren, wenn auch emotional reichhaltigen, fast exzessiven Atmosphäre geprägt. Viele Elemente des Live-Events beziehen sich auf Konflikte der menschlichen Intimität und auf unklare Grenzen zwischen dem Selbst und anderen. Die episodische Natur der Arbeit lädt aber auch die Betrachtenden dazu ein, eigene Erfahrungen einzubringen und die einzelnen Elemente miteinander zu verbinden, sodass diese die eigene Wahrnehmung unklar werden lassen oder verzerren.
Ein roter Faden in Workers in Song ist „Der Leiermann“ aus Franz Schuberts Winterreise (1827). Der Komponist schrieb die Winterreise, als er gegen Ende seines Lebens an Syphilis erkrankt war. Das Lied handelt von der Reise eines verschmähten Liebhabers in die Nacht, insbesondere von seiner Begegnung mit einem heruntergekommenen Leierspieler, der immer wieder ein Lied vorträgt, das scheinbar niemand hören will. In der Installation von Bultheel und Richards hebt die zurückhaltende Videoprojektion von Sebastian de la Cour (1980, Kopenhagen) die Sentimentalität von Schuberts Originalstück zwischen Sehnsucht und Desillusionierung auf. Gleichzeitig übersetzen sie das titelgebende Drehleierspiel in ein vom Computer gelenktes Klavierspiel, wodurch die opulente Emotionalität des Liedes mit der Abwesenheit eines Menschen kontrastiert wird. Mit dieser konzeptionellen Wendung heben Bultheel und Richards eine fast maschinelle Dimension des menschlichen Begehrens hervor, die uns ständig nach etwas suchen lässt, das selbst undefiniert bleibt.
Die Präsentation im Mudam vertieft die Annäherung zwischen dem installativen und performativen Aspekt des Werks und hinterfragt in der intuitiven und intimen Begegnung zwischen dem Publikum, der Musik und dem Bewegtbild die Grenzen zwischen dem Lebendigen und dem Aufgezeichneten, zwischen Präsenz und Abwesenheit, Geistern und dem Archiv. Das Werk Yellow Movie 1/12-13/73 (1973) von Tony Conrad (1940, Concord – 2016, Cheektowaga) aus der Mudam Sammlung wurde von den Künstlern als Teil der Installation ausgewählt. Diese Arbeit, bei der es um die Geschichte des Films und der Performance geht, ist außerdem auch eine Anspielung an frühere Versionen von Workers in Song, bei denen Tony Conrads Film The Flicker (1966) gezeigt wurde.
Workers in Song konfrontiert die Besucher:innen mit den paradoxen Empfindungen von Freude und Unbehagen. Die Arbeit bezieht sich direkt auf die Tiefe der menschlichen Existenz, auf Schönheit, Tod, Sex, Einsamkeit, Nostalgie, Zusammensein und wie diese miteinander verwobenen sind.
Notenblätter und Dokumente zur Performance Workers in Song im WIELS sind Teil dieser Broschüre. Sie ermöglichen den Besuchern Einblicke in das dort vollständig aktivierte Werk.
Biografien
James Richards (1983, Cardiff) lebt und arbeitet zwischen Berlin und London. Richards untersucht in seiner
umfassenden Praxis Themen wie Obsession, Begehren und Technologie durch Archivrecherchen, gefundenes Bildmaterial und im Rahmen einer weitreichenden Zusammenarbeit. Er setzt sich in seiner Arbeit mit der unerbittlichen Bilderflut des 21. Jahrhunderts auseinander und gestaltet einen Raum, in dem persönliche Politik und digitale Materialität aufeinandertreffen.
Zu seinen letzten Einzelausstellungen zählen Internal Litter, Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin (2022); When We Were Monsters, Haus Mödrath, Kerpen (2021); Alms for the Birds, Castello di Rivoli, Turin (2020); SPEED 2, Malmö Konsthall (2019); und SPEED, Künstlerhaus Stuttgart (2018). Ausgewählte Gruppenausstellungen sind unter anderem Penumbra, Fondazione In Between Art Film, Venedig (2022); The Botanical Mind, Camden Art Centre, London (2020); Whitney Biennial, New York (2017) und Less Than Zero, Walker Art Center, Minneapolis (2016). 2017 vertrat Richards mit der Ausstellung Music for the Gift sein Heimatland Wales bei der 57. Biennale von Venedig. Ihm wurde außerdem der Preis der Nationalgalerie 2024 in Berlin verliehen.
Billy John Bultheel (1987, Brüssel) lebt und arbeitet zwischen Berlin und Brüssel.
In seiner Arbeit als experimenteller Komponist und Performance-Künstler verbindet Bultheel zeitgenössische
Komposition mit Techniken und Traditionen der polyphonen Musik des europäischen Mittelalters und der Renaissance. In seiner Musik erforscht er Performance und Installationen, häufig in ortsspezifischem Rahmen, und lässt die Einschränkungen des Konzertsaals hinter sich, um neues Terrain für musikalische Erfahrungen zu finden. Die Musiker:innen werden zu Performenden, die sich durch Klangwelten bewegen und mit Architektur, Skulptur und eigens angefertigten Instrumenten interagieren.
Zu den jüngsten Projekten des Künstlers gehören The Thief’s Journal, Berlin Atonal (2023); Workers in Song, WIELS, Brüssel (2023); Mt. Analogue, Bourse de Commerce – Pinault Collection, Paris (2023); Athens Songs I-IV, 7. Biennale in Athen (2021); UNTER, Schinkel Pavillon, Berlin (2021); Songs for the Contract, folia. app (2021); The Minutes of Olomouc, PAF, Olmütz (2020) und When Doves Cry, Schinkel Pavillon, Berlin, (2019). Bultheel studierte Komposition am Institut für Sonologie in Den Haag, Niederlande, und Performance und Choreografie am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, Deutschland.