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William Kentridge. More Sweetly Play the Dance (Audio + Miniguide)

William Kentridge (*1955, Johannesburg) entwickelt seit über 4 Jahrzehnten ein vielschichtiges Werk.

William Kentridge (*1955, Johannesburg) entwickelt seit über vier Jahrzehnten ein vielschichtiges, auf Zeichnungen basierendes Werk, das Animationsfilme, Performances, Theater und Opern umfasst. Diese Ausstellung zeigt erstmals Kentridges künstlerische Produktion im Zusammenhang mit seinen Arbeiten für Bühne und Oper. Die Ausstellung ist Teil des red bridge project, einer Zusammenarbeit des Mudam Luxembourg, der Philharmonie Luxembourg und des Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg. Kentridge wurde bekannt durch seine Zeichentrickfilme, für die er Kohlezeich-nungen einem charakteristischen Prozess von Ausradieren und Überdecken unterzieht. In einem dynamischen Spiel zerlegt er in seiner Kunst Bildformen und setzt sie wieder zusammen und springt dabei auch noch zwischen den Medien und Disziplinen hin und her. Seine Arbeit hat einen deutlich erzählerischen Charakter in ihrer Behand-lung von Themen zur Geschichte, zur Zeit und zu den Absurditäten einer Welt der großen Gewissheiten, die Kentridge stets aus der Perspektive seiner südafrikani-schen Heimat behandelt. Gezeigt werden Zeichnungen, Skulpturen sowie Klang- und Filmarbeiten, in denen sich die beständige Reflexion des Künstlers über Geschichte und Subjektivität zeigt sowie darüber, wie sich Bedeutung durch Bilder, Sprache, Klang und Zeit konstruiert. Für Kentridge ist die Zeit eine historische, geologische, kinematografische und, im Besonderen, die in seinem Atelier verbrachte Zeit.

Ostgalerie

Die hier gezeigten Arbeiten machen deutlich, wie wandelbar die einzelnen künstlerischen Methoden von William Kentridge sind, und dass sie alle ihren Ursprung in seiner Praxis der Zeichnung haben. Der Film Sibyl (2020) sowie die Zeichnungen aus der Reihe Waiting for the Sibyl (2019) entstanden im Zusammenhang mit seinem gleichnamigen Bühnenstück. Das Eichenblatt ist in Verbindung zu den Weissagungen der Cumäischen Sibylle zu sehen, einer Priesterin aus der römischen Mythologie. Die schwebenden Papierblätter wurden inspiriert von der Sibylle in Dantes Inferno (1303–1321), deren Büchern alles Wissen der Welt enthielt. Die Bäume in den großformatigen Tuschzeichnungen, vom Künstler in einem intuitiven Verfahren aus Skizzen, Collagen und Assemblagen erstellt, stehen für das Wissen, während die mit Slogans übermalten Buchseiten Gewissheiten hinterfragen. City Deep (2020) ist Kentridges elfte Drawings for Projection, die in der unter-gehenden Welt der einst wohlhabenden Minenstadt Johannesburg spielen. Der Ort ist die Johannesburg Art Gallery, die langsam um den Anzug tragenden Geschäftsmann Soho Eckstein herum in sich zusammenfällt. Kentridges Linien und Ausradierungen führen uns in die Landschaft der Zama Zamas, illegalen Goldsuchern, deren Schürflöcher sich in Gräber verwandeln. Die roten Linien und Anmerkungen in den ausgestellten Zeichnungen deuten auf den jeweiligen Zeitpunkt der Zeichnung im Film und innerhalb des fließenden Prozesses hin.

Kentridges Skulpturen schlagen eine Brücke zwischen seiner Zeichenpraxis, seinen Filmen und seinen Bühnenwerken. Wiederkehrende Themen sind das der Prozession, Figuren einstmals alltäglicher Gegenstände und die Sprache. Kentridge erinnern diese Motive und Figure an die Commedia dell’arte, bei der die Protagonisten in unterschiedlichen Stücken auftreten. Zur Besetzung gehören das Telefon, die Kaffeekanne, die Schreibmaschine und das Megafon. Aus einfachen Materialien, wie zerrissener Pappe oder verdrehtem Metall hergestellt, sind ihre Konturen improvisiert und ideogrammatisch. Die bemalten Bronzen der Roman Heads (2014), die an kubistische Skulpturen Picassos (1881, Malaga – 1973, Mougins) erinnern, bewahren die Ästhetik der Materialimprovisation ihrer Herstellung. Die große Skulptur aus Pappmaschee Prop for The Nose (2016) ist Teil einer von der satirischen Oper Die Nase, von Dmitri Schostakowitsch (1906, Sankt Petersburg – 1975, Moskau) inspirierten Reihe, die Kentridge erstmals 2010 in New York inszeniert hatte. Um Sprache und Bedeutung geht es auch in den kleinen Skulpturen der Reihe Rebus. Ihr Titel bedeutet wörtlich „zwei Bilder in einem Ding“; sie sind aber für Kentridge „in gewisser Weise Hieroglyphen, die den Betrachter einladen, aus Unsinn Sinn zu machen“.

Westgalerie und Kleine Westgalerie

Kentridge sagte: „Das Bild einer Prozession von Leuten, die ihr Gepäck tragen, ist als Bild ebenso zeitgenössisch wie unmittelbar, ein tief in unserer Psyche verwurzeltes Bild.“ More Sweetly Play the Dance (2015) wurde in Kentridges Atelier im Zentrum von Johannesburg gefilmt. Die Gestalten dieser Prozession sind Heilige und Helden, sich drehende Tänzer aus afrikanischen Kirchen, eine Blaskapelle, „Spatentänzer“ aus den Bergwerken sowie diejenigen vom Rande der Gesellschaft und die ihre Infusion tragenden Aids- und Ebola-Kranken des südlichen Afrikas. Sie werden von links nach rechts von der ein Tutu tragenden Tänzerin Dada Masilo geführt, die Tanzbewegungen aus dem Schwanensee (1877), aus Carmen (1875) und dem aus dem Mittelalter stammenden Totentanz ausführt, begleitet von der eindringlichen Musik einer kirchlichen Blaskapelle. Den Hintergrund der Prozession bilden die Minenlandschaft und der Himmel des einst reichen Johannesburg, die in den verschwommenen und verwischten Linien zu erkennen sind.

Schatten und Prozessionen sind von großer Bedeutung in Kentridges Werk. Als Allegorien für das Voranschreiten der Geschichte haben sie ihren Ursprung in den Silhouetten aus dem Puppentheater. Für Kentridge „sind es die Begrenztheiten und das Magere der Schatten, durch die wir lernen, ein Bild zu ergänzen, durch die wir selbst etwas hervorbringen“.

Die projizierten Schatten der sich drehenden Skulptur Construction for Waiting for the Sibyl (2019) ist auch eine Antwort auf die sich drehenden Skulpturen Alexander Calders (1898, Lawnton – 1976, New York) und bezieht sich auf frühere, für Theaterproduktionen realisierte Schattenprojektionen. Kentridge beschrieb die Wirkung, seine bewegten Bildobjekte anzuschauen, als „Bedeutung an der Schwelle des Werdens“.

Grand Hall

Almost Don’t Tremble (2019) wurde von Kentridge als eine aus Musikstücken bestehende Skulptur konzipiert, die die zentrale Halle des Museums mithilfe von vier großen Megafonen ausfüllt. Für Kentridge steht das Megafon für den Widerstand gegen das südafrikanische Apartheidsregime sowie für frühe Ton- und Filmaufnahmen. Der monumentale Schattenriss eines Baumes (Shadow, 2021), der aus einer KentridgeZeichnung stammt, gibt dem Ganzen etwas von einer südafrikanischen Savanne, gleichzeitig aber, durch die vielen durch Musik und Bilder hervorgerufenen Assoziationen, entsteht diese Landschaft in unserer eigenen Vorstellung.

Vue de l'exposition "William Kentridge. More Sweetly Play the Dance", 13.02 – 30.08.2021, Mudam Luxembourg