Lynette Yiadom-Boakye. Fly In League With The Night (Audio- und Miniguide)
Fly In League With The Night ist die bisher größte Überblicksausstellung zum Werk der britischen Künstlerin Lynette Yiadom-Boakye (1977, London). Die Ausstellung präsentiert 67 Gemälde aus zwei Jahrzehnten.
Lynette Yiadom-Boakye malt figurative Bilder und schöpft dabei aus einer Vielzahl von Quellen. Ihre Figuren bewohnen absichtlich rätselhafte Umgebungen, die zeitlos und oft abstrakt sind. Mit ihrer Ölmaltechnik auf mehr oder weniger grober Leinwand hat sie eine ganz persönliche malerische Formensprache entwickelt.
Fly In League With The Night ist die erste Ausstellung, bei der das Werk von Yiadom-Boakye vor einem weiteren Hintergrund präsentiert wird. Sie umfasst Arbeiten aus ihrer Zeit als Studentin an der Londoner Royal Academy of Arts bis hin zu ihren jüngsten, 2020 während der Corona-Pandemie entstandenen Arbeiten. Dabei wurde die Auswahl und Hängung der Werke in enger Zusammenarbeit mit Yiadom-Boakye vorgenommen. Ohne einer strengen Chronologie zu folgen entfaltet sich die Ausstellung und folgt stattdessen der Dynamik und dem Dialog, der sich zwischen den Gemälden entwickelt. „Ich stellte mir einen Dialogen zwischen den Arbeiten vor, so ähnlich wie ich es tue, wenn ich sie bei mir im Atelier sehe, und wollte auch auf ihre Abfolge und den Rhythmus achten, der sich ergibt, wenn man sich durch den Saal bewegt,“ meinte die Künstlerin.
Die einzelnen Bilder werden nicht von erklärenden Texten begleitet. Stattdessen sind Sie aufgefordert, sich mit Yiadom-Boakyes Arbeiten auf ihre eigene Art auseinanderzusetzen. „Es gibt so viele Dinge, an die ich denke oder die ich tue, während ich male, dass ich dafür gar keine Worte habe. Jeder Versuch einer Erklärung ist, im besten Falle, überflüssig. Und, im schlimmsten Falle, völlig daneben.“
Neben ihrer Tätigkeit als Malerin schreibt Yiadom-Boakye auch Gedichte und Prosa. Für sie sind diese beiden Formen von Kreativität zwar verschieden, aber auch ineinander verflochten. „Ich schreibe über die Dinge, die ich nicht malen kann und male Dinge, die ich nicht sagen kann“, merkt sie an. Die aussagekräftigen Titel ihrer Arbeiten bezeichnet sie als „zusätzlichen Pinselstrich.“ Sie sind zwar wesentlicher Bestandteil einer jeden Arbeit, dienen aber nicht zur Erklärung oder Beschreibung. Der Titel dieser Ausstellung stammt von einem Gedicht der Künstlerin, das sie eigens hierfür geschrieben hat:
At Ease As The Day Breaks Beside Its Erasure
And At Pains To Temper The Light
At Liberty Like The Owl When The Need Comes Knocking
To Fly In League With The Night.
— Lynette Yiadom-Boakye
[Entspannt, bei Anbruch des Tage
etwas abseits seiner Auslöschung
und bestrebt, das Licht zu dämpfen
frei wie die Eule wenn das Bedürfnis anklopft
zu fliegen im Verbund mit der Nacht.]
Malerei, Einflüsse und Inspiration
Yiadom-Boakye lernte zunächst nach dem Leben zu malen. Während ihres Studiums an der Falmouth School of Art an der Küste Cornwalls änderte sie jedoch schon früh ihre Denk- und Herangehensweise an die Malerei. Sie erkannte, dass sie weniger an Porträts interessiert war, als am Akt des Malens selbst, und damit immer ein Stück aus der Wirklichkeit entrückt. „Dort zu sein, weit weg von London, an diesem ruhigen und schönen Ort, ohne besondere Erwartungen an das, was ich tun sollte, das war an sich schon eine Ausbildung. Und irgendwie eine Befreiung.
Das Malen ist für sie so etwas wie eine Sprache, ein machtvolles Kommunikationsmittel, jenseits aller Worte. Sie beginnt mit einer Farbe, einer Komposition, einer Geste oder einer bestimmten Richtung, aus der das Licht kommt. Gefundene Bilder, Erinnerungen, Literatur und die Geschichte der Malerei: all das sind Quellen für ihre Arbeit. Jedes Gemälde wird zusammengesetzt aus verschiedenen Bewegungen und Posen, die sie auf der Leinwandfläche erarbeitet. Die Geschichte der Malerei ist wichtig für sie, und durch ihre Arbeit wird deutlich, dass sie auch heute noch von Bedeutung sein kann.
Yiadom-Boakye besitzt eine umfangreiche Bibliothek, die ihr zur Inspiration dient. In ihrem Atelier im Osten Londons stapeln sich die Ausstellungskataloge. Ihre Arbeit ist durchdrungen von Kunstgeschichte, und doch bleibt ihre Malerei eigenständig und erzählt neue Geschichten. Auch die Musik hatte immer schon einen starken Einfluss auf sie. Prince (1958, Minneapolis – 2016, Chanhassen, Minnesota) zu hören führte sie zum Jazz, wobei sich eine Beziehung entwickelte zwischen den Rhythmen der improvisierten Musik und ihrem Pinselgestus. Miles Davis (1926, Alton, Illinois –1991, Santa Monica, Kalifornien), John Coltrane (1926, Hamlet, North Carolina –1967, Huntington, New York), Nina Simone (1933, Tryon, North Carolina –2003, Carry-le-Rouet, Frankreich) und Bill Evans (1929, Plainfield, New Jersey – 1980, New York) sind nur einige der musikalischen Legenden, die die Künstlerin in ihrer Spotify-Playlist The Sound of Lynette Yiadom-Boakye teilt. Das Timbre der Stimme von Nick Drake (1948, Rangun, Birma –1974, Tamworth-in-Arden, England) kann in ihrer Arbeit an einem Gemälde ein Echo finden. Sie lässt sich auch von der Kraft der Literatur inspirieren, innere Bilder hervorzurufen, indem sie Autoren liest wie James Baldwin (1924, New York –1987, Saint-Paul-de-Vence, Frankreich), Ted Hughes (1930, Mytholmroyd, England – 1968, London), Marlon James (1970, Kingston, Jamaika) oder Zora Neale Hurston (1891, Notasulga, Alabama – 1960, Fort Pierce, Florida).
Ich arbeite mit Scrapbooks, ich arbeite mit Bildern, die ich sammle, ich arbeite ein wenig mit dem Leben, ich suche die Bilder, die ich brauche. Ich mache Fotos. All das wird dann auf einer Leinwand zusammengesetzt. Auf diese Weise kann ich wirklich über das Bild nachdenken, es im wahrsten Sinne des Wortes als Gemälde betrachten und eine Sprache entwickeln, die sich nicht so anfühlt, als würde ich versuchen, etwas aus dem Leben zu nehmen und in Malerei zu übersetzen, sondern die es der Farbe selbst erlaubt, das Sprechen zu übernehmen.
— Lynette Yiadom-Boakye
Figuren und Stimmungen
Yiadom-Boakyes fiktive Figuren bewohnen persönliche Welten. Obwohl sie uns anzulächeln oder in unsere Richtung zu blicken scheinen, kümmern sie sich in erster Linie um ihre eigenen Dinge. Sie schauen durch Ferngläser auf Dinge, die wir nicht sehen können, denken nach oder unterhalten sich über Themen, die in den erfundenen Welten von Yiadom-Boakye verbleiben. Die Stimmung jedes Bildes wird mit sorgfältiger Aufmerksamkeit gegenüber dem Gesichtsausdruck, den Gesten und den Farben erzeugt. Ihre vielsagenden Titel bieten Hinweise auf mögliche Geschichten. Jede gemalte Szene wirkt wie eine abgeschlossene Erzählung, für die wir jedoch womöglich eine Fortsetzung in einem anderen Teil ihres Werkes finden. Die Bilder lassen uns fragen, was dieses rätselhafte Lächeln meinen könnte oder zu welchem Song sich jene Tänzer bewegen. Wenn sie etwas aufführen, dann gilt das nicht unbedingt uns. Es gibt etwas leicht Widerständiges in der Unabhängigkeit und der Introspektion der Figuren. Yiadom-Boakye hat ihre Kompositionen beschrieben als „… zusammengesetzt, chiffrenhaft, rätselhaft. Zwar von dieser Welt, aber doch nur teilweise von ihr betroffen. Betroffen von dem Teil, der ihnen das Leben schenkt, weniger vom Rest.“
Die Figuren in ihren Gemälden sind zeitlos. Sie sind absichtlich schwer zeitlich zu verorten. Sie fügt nur selten Dinge hinzu, die auf einen Stil, auf die Mode oder die Kultur einer bestimmten Epoche verweisen. So gibt es zum Beispiel nur sehr wenige Schuhe in ihren Bildern zu sehen. Wenige Gegenstände verbinden sie mit einer bestimmten Zeit. Gleiches gilt für die Innenräume, in denen architektonische Details oder spezielles Design fehlen. Ihre Figuren werden von ihrer Umgebung nicht definiert. Diese Unbestimmtheit ist wichtig für die Arbeit von Yiadom-Boakye. Die Zeitlosigkeit, die sie schafft, stellt für uns eine besondere Herausforderung dar, und regt unsere Neugier und Fantasie an.
“Schwarz zu sein, war für mich nie etwas Besonderes. Daher hatte ich nie das Bedürfnis, dieses in meiner Arbeit vorkommende Thema zu erklären, genauso wenig wie ich meine eigene Existenz in der Welt zu erklären habe, wann auch immer ich danach gefragt werde. Es hat mir nie gefallen, dass man mir sagte, wer ich sei, wie ich zu sprechen habe, was ich zu denken habe und wie ich es denken sollte. Ich hab es nie gebraucht, dass man mir das erklärt. Das habe ich von meiner Familie. Durch die Generationen wussten wir immer, wer wir waren. Gemessen zu werden an etwas, das tatsächlich nichts mit dir oder deiner Erfahrung zu tun hat, an einer selbst ernannten höherstehenden Person, am Gespenst dessen, der du sein solltest… all das hat nie irgendwelchen Sinn ergeben, und doch lebst du damit, lebst darin. Aber die Vorstellung der Unendlichkeit, eines Lebens und einer Welt unendlicher Möglichkeiten, wo dir alles offensteht, unverstellt von den alptraumhaften Vorstellungen anderer, die Geistesgegenwart zu haben, so unbändig voranzuschreiten, wie du es willst, das ist es, woran ich am meisten denke, das ist die Richtung, in die ich immer schon gehen wollte. Meiner eigenen Nase zu folgen und das zu tun, was mir verdammt gefällt, erschien mir immer schon das radikalste, was ich machen konnte. Es geht weniger darum, schwarze Menschen in ein Regelwerk zu zwängen, als zu sagen, dass wir schon immer hier waren, dass es uns schon immer gegeben hat, selbstgenügsam, jenseits der Alpträume und Fantasien, vor und nach einer sogenannten „Entdeckung“, und in keiner Weise davon bestimmt oder begrenzt, wie andere uns sehen.“
— Lynette Yiadom-Boakye
Publikation
Die Ausstellung wird von einem ausführlich illustrierten Katalog mit Texten der Künstlerin, der Kuratorinnen und der amerikanischen Dichterin und Schriftstellerin Elizabeth Alexander (Tate Publishing, 2020) begleitet.
Publikationsleiterinnen: Isabella Maidment, Andrea Schlieker
Grafikdesign: Mark El-khatib
Verlag: Tate Publishing
Sprache: Englisch
Erhältlich im Mudam Store
30 €
Biografie
Lynette Yiadom-Boakye (1977, London) ist eine britische Künstlerin ghanaischer Abstammung. 2019 nahm sie am viel beachteten Ghana Freedom Pavillon auf der Biennale von Venedig teil. 2018 wurde sie mit dem renommierten Carnegie International Prize ausgezeichnet. 2013 wurde sie für den Turner Prize nominiert. Ihre Arbeiten sind in zahlreichen öffentlichen Sammlungen zu finden und wurden weltweit ausgestellt, unter anderem im New Museum of Contemporary Art in New York (2017), in der Kunsthalle Basel (2016), im Haus der Kunst in München (2015) und in den Serpentine Galleries in London (2015). Sie lebt und arbeitet in London.