Rui Moreira
Die Bilder des portugiesischen Künstlers Rui Moreira (1971, Porto) geben ein sehr persönliches Universum wieder. Die Zeichnungen von großem bis sehr großem Format wurden in oftmals monatelanger geradezu meditativer Feinarbeit detailreich und präzise realisiert. Ob von gegenständlichem oder von abstrakt-geometrischem Bildinhalt, stets verleihen sie dem inneren Erleben des Künstlers Ausdruck, das er auf Reisen und im engen Kontakt mit neuen und fremden Kulturen und Religionen sowie im Zusammenhang mit Literatur und Musik erfahren hat.
Zeichnen ist für Moreira eine ganzheitliche, auch körperlich intensive Erfahrung, in die mit Leib und Seele sich einzubringen ihm notwendig ist. Dabei sind seine Reisen nicht nur Quelle der Inspiration, vielmehr dienen ihre äußeren Umstände auch einer jeweils spezifischen Stimmung, die in seinen Arbeiten ein Echo findet. So war das tagelange, fast ununterbrochene und einsame Arbeiten bei extremen Temperaturen während eines Aufenthaltes am kargen Rande der Wüste im Süden Marokkos eine ebenso prägende Erfahrung wie seine Indienreise, die ihn nicht nur zu den heiligen Stätten der Buddhisten und der Hindus führte, sondern ihm auch Gelegenheit bot, sich in einem Kloster in Dharamsala mit der Kunst der tibetischen Mandalas auseinanderzusetzen. Ein Aufenthalt im Bergland des portugiesischen Nordostens, der ihn an Orte seiner Kindheit zurückführte, brachte ihn mit dem dortigen Karneval und den „Caretos“, den Maskenträgern, in Berührung, deren Treiben auf einen dreitausendjährigen Fruchtbarkeitskult zurückgeht. Moreiras Erfahrungen aus seiner eigenen Teilnahme an diesem Kult flossen, wie er meinte, direkt in seine Zeichnungen ein: „Ich sehe Feldarbeit als einen wesentlichen Aspekt meiner Arbeit. Die intensive innere Erfahrung gibt der Zeichnung eine größere Tiefe. Ich mag es, von innen heraus zu zeichnen.“
Die Arbeiten Rui Moreiras mag man, ohne scharfe Trennung, unterteilen in figürliche, landschaftliche und abstrakte Motive. Ähnlich dem Gedicht des portugiesischen Dichters Herberto Hélder A Máquina de Emaranhar Paisagens, das Moreira zu einer Reihe von geometrisch-abstrakten Arbeiten inspiriert hat, sind seine Zeichnungen wahre „Maschinen zum Verfilzen von Landschaften“ (Machine of Entangling Landscapes). Moreira wählt seine Titel mit Bedacht, meist reichern die hergestellten Bezüge die Fülle der formalen Assoziationen und inhaltlichen Referenzen um weitere Tiefenschichten an. Die wie eine Mischung aus Tuareg und „Careto“ wirkenden Gestalten geben den Bildern einen unbestimmt erzählerischen, ja mythischen Gehalt; ihre Titel verweisen auf Bezüge aus Literatur (z. B. ein Zitat aus dem Roman 2666 des chilenischen Autors Robert Bolaño in I’m a Lost Giant in a Burnt Forest, 2010, das zudem auch von Werner Herzogs Film Fitzcarraldo inspiriert wurde), Film (z. B. David Lynchs Serie Twin Peaks in The Man of the Log, 2009) oder aktuellen politischen Themen (wie z. B. das portugiesische Abtreibungsreferendum von 2007 in Our Lady of Abortion, 2007), ohne jedoch Illustrationen zu sein. Die Landschaftsmotive oder –bilder sind grafische Aufnahmen der körperlichen Erfahrungen der von ihm besuchten Orte, ein All-over an der Grenze zur Abstraktion. Weiterhin assoziiert Moreira seine Zeichnungen mit der Musik, wie z. B. mit György Ligetis Chorstück Morgen, den Werken Karlheinz Stockhausens oder dem Lied der brasilianischen Sängerin Cássia Eller, O Segundo Sol.
Formal wie inhaltlich von großer Komplexität, bieten die Zeichnungen von Rui Moreira dem Betrachter eine Fülle von visuellen und intellektuellen Ansätzen, seinen „Innenbildern“ nachzuspüren.
Kunstwerke
Rui Moreira The Man of the Log, 2009 Gouache, stylo gel et crayon sur papier
231,5 x 160 cm
Collection Mudam Luxembourg
Acquisition 2014
© Photo : Rémi Villaggi / Mudam Luxembourg