Der französische Künstler Eric Baudelaire (1973, Salt Lake City) studierte zunächst Politikwissenschaften, bevor er im Jahr 2000 bei einem Forschungsprojekt über die post-sowjetischen, nicht anerkannten „imaginierten Staaten“ (so der Titel seines ersten Buches, 2005) des Kaukasus sein Interesse für die Fotografie entdeckte. Nach einigen Jahren des Fotojournalismus folgte er schließlich der seiner Arbeit stets zugrunde liegenden Frage nach den „Möglichkeiten zur bildlichen Darstellung politischer Ideen“ in den Bereich der Kunst. Als Künstler arbeitet Baudelaire seit 2009 auch mit dem Medium des Films, wo er die komplexe Beziehung zwischen Erzählung, Bild und dem Dokumentarischen untersucht. Daneben realisiert er nach wie vor Fotografien, fertigt Grafiken und Objekte, verfasst Texte und erstellt umfangreiche Ausstellungsinstallationen, in denen seine Themen auf unterschiedlichen Ebenen dargestellt werden. Methodisch sind Baudelaires Arbeiten oft inspiriert von den Sozialwissenschaften. Befragungen von Zeitzeugen im Stil der Oral History werden so seinen Filmen unterlegt. Anfragen oder Interviews in Briefform ergeben Dokumente, die für sich sprechen.

So ist auch Where are you going? (2018 - ) nicht die erste Arbeit Baudelaires in Form einer Korrespondenz. Aus Anlass der für die Geschichte Europas wie des Landes selbst so bedeutenden Entscheidung des Vereinigten Königreichs zum Austritt aus der Europäischen Union, schrieb er an sämtliche 650 Abgeordnete des britischen Unterhauses sowie an sämtliche 784 Mitglieder des Oberhauses einen Brief mit der pointierten Frage: „You are leaving Europe. But where are you going?“ („Sie verlassen Europa. Aber wo gehen Sie hin?“). Die erhaltenen gut fünfzig Antworten, die je nach politischer Haltung gegenüber dem Brexit sehr unterschiedlich ausfielen, bieten einen schnappschussartigen Einblick in einen historischen Moments des britischen Parlamentarismus.