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Tony Cragg
Tony Cragg

Monographische Ausstellung

„Die Bildhauerei ist nur eine Methode, mit der großen Welt umzugehen, nach neuen Formen zu suchen und neue Fragen über die Welt, in der wir leben, über die Wirklichkeit zu formulieren.” “Meine Erfahrung mit der Skulptur zeigt, dass sie eine unglaublich dynamische und bewegte Sache ist. Es hat etwas sehr Unmittelbares, das Material zu lesen.” Tony Cragg

Tony Cragg Industrial Nature, 2015
© Adagp 2017, Paris / Tony Cragg, photo : Jack Hems

Die Ausstellung von Tony Cragg im Mudam Luxembourg verfolgt keineswegs den Anspruch einer Retrospektive, vielmehr zielt die Auswahl von überwiegend in den letzten zwanzig Jahren entstandenen Arbeiten auf die Präsentation der breiten Vielfalt und der Dynamik des Werkes dieses international renommierten und ungemein produktiven Künstlers. Obwohl Cragg sich als Bildhauer in seinen Werken in geradezu klassischer Weise mit Fragen zu Form und Material auseinandersetzt, ist für ihn jedes vorstellbare Material Träger von Sinn, Vorstellungen und Emotionen. Die Skulptur ist für ihn ein in die Zukunft weisendes Medium, dessen Potential er für bei weitem noch nicht ausgeschöpft hält. „Die Zukunft der Bildhauerei hat gerade erst begonnen. Ihr Potential ist heute größer denn je, und ihre Möglichkeiten beginnen gerade”, erklärt er. Für Cragg steht die Kunst zwischen dem organischen Bereich der Natur und demjenigen der funktional-optimierten industriellen Produktion. Dieser Freiraum jenseits der utilitaristischen Notwendigkeiten ist für ihn die explizit politische Dimension seiner Kunst, jeder Kunst. Sie ermöglicht es ihm nicht nur, mit jeder neuen Skulptur dem Material eine neue Form zu geben, sondern auch, mit ihnen seinen Empfindungen und Gefühlen einen immer wieder neuen Ausdruck zu verleihen. „In der Skulptur geht es darum, wie das Material und die Form uns berührt”, meint der Künstler und sieht neben der emotionalen Empfänglichkeit des Betrachters vor allem dessen intellektuelle Fähigkeit zum analytischen Sehen gefordert, um dem Gesehenen zur Sprache zu verhelfen.

Der zwanzigjährige Tony Cragg hatte bereits als Assistent in einem Forschungslabor der Gummiindustrie gearbeitet, als er sich aufgrund seines Interesses am Zeichnen für das Kunststudium entschied, das er 1977 am Londoner Royal College of Art beenden sollte. Seine frühen Arbeiten sind geprägt von der Auseinandersetzung mit einigen der damals dominierenden Kunstrichtungen: Minimal-, Concept- und Land Art sowie Arte Povera hinterließen in seinen aus Ready-mades, Objets trouvés und „armen” Materialien zusammengestellten skulpturalen Arbeiten zunächst noch Spuren, traten aber bald in den Hintergrund zugunsten einer künstlerischen Untersuchung von Form und Material, Gegenstand und Bild sowie des Herstellungsprozesses, die ihn bis heute beschäftigt.

Tony Cragg Pool, 2012
© Adagp 2017, Paris / Tony Cragg, photo : Charles Duprat

Craggs Neugier ließ ihn nahezu jedes denkbare und geeignete Material verwenden, für ihn ist jede Skulptur eine Weiterentwicklung der ihr vorangehenden. Damit schuf er ein skulpturales Universum, in dem sich verschiedene „Werkfamilien” wie in einer sich natürlich verzweigenden und dann parallel verlaufenden Evolution zu zahllosen Varianten bildeten, bei denen es auch zu Kreuzungen untereinander kommen konnte. Zunächst kombinierte oder akkumulierte er Plastik- und Holzabfälle, Baumaterialien, Flaschen, mechanische Elemente und anderes und formte daraus abstrakte oder gegenständlich und figurativ verfremdete Motive. Allmählich entwickelten sich seine Skulpturen dann innerhalb der weiten Spanne zwischen organischer und technoider Form weiter, ohne jedoch auf wiedererkennbare Elemente ganz zu verzichten. Auch wandte er sich vermehrt den Materialien der „klassischen” Bildhauerei zu, dem Gips, dem Holz, der Bronze und dem Stein, ohne freilich vor neuen Materien wie Fiberglas oder Kevlar zurückzuschrecken. Dabei entstanden Skulpturen von zunehmender Komplexität. Mit jedem Werk sucht Cragg etwas Neues, auch für ihn selbst Überraschendes, er versucht, die „fehlenden Formen” zu finden, und obwohl er in den letzten Jahren ein System zur Formerfindung entwickelt hat, sieht er sich selbst nur als „Agenten”, der den Formen mit ihrer inneren Dynamik zum Werden verhilft. „Selbst wenn es keine lineare Sache ist, Dinge generieren etwas. Es gibt eine Art sich selbst propagierender, selbstgenerierender Energie, die im Material selbst steckt.” Als eine seiner Hauptbeschäftigungen ist das tägliche Zeichnen dabei wesentlich für die Formfindung und das Entstehen seiner Skulpturen. In der Zeichnung als abstrakt verknapptem Medium ist es ihm möglich, formale Problematiken konzeptionell soweit vorzubereiten, dass sie in der dreidimensionalen Ausführung dann eine Lösung finden können.

Die in der Ausstellung präsentierten Arbeiten Tony Craggs sind von großer Unterschiedlichkeit und hängen doch alle in verwandtschaftlichen Beziehungen voneinander ab. Die beiden der Mudam Sammlung angehörigen Stücke Dining Motions (1982) und Forminifera (1994) zeugen einerseits von Craggs frühem Interesse am Verhältnis von Form, Bild und Material, andererseits von seiner Neugier auf organische Formen und skulpturale Fragen nach Massivität und Oberfläche, ein Problem, das er auf unterschiedliche Weise auch in anderen Arbeiten angehen sollte. Als zwei große und weitverzweigte Werkfamilien entwickelten sich die Early Forms und die Rational Beings. Erstere leiten sich von Labor- und ähnlichen Gefäßen ab, die durch Dehnung, Streckung, Verdrehung und andere Verformungen zu selbständigen Formen werden (dazu gehören auch noch Arbeiten wie Stroke [2014] und Migrant [2015]), während letztere sich in quellenden und sprießenden Metamorphosen aus geometrischen Grundformen zu organischen Formen herausbilden sollten. I’m Alive (2003) im Grand Hall wie auch Making Sense (2007) leiten sich davon ab. Das Prinzip der Schichtung und Stapelung verfolgt Cragg in vielfältigen Versionen: wird in Fields of Heaven (1998) noch die Fragilität des Glases betont, wird die Schichtung von verleimten Sperrholzlagen bald zu einer Methode, die ungeahnte Formmöglichkeiten zulässt. Lost in Thoughts (2012) präsentiert noch in organischer Form das Material selbst, während sich die davon abgeleiteten Säulen der Reihe Points of View in großer Freiheit verselbständigten und mit Profilassoziationen spielen. Die Arbeit mit dem Computer schließlich ermöglicht nicht nur die einfache Vergrößerung bzw. Verkleinerung, sondern auch die Verschmelzung, Verzerrung oder auch den Querschnitt von Formen, wie in False Idols (2011), Spring (2014) oder Parts of the World (2015), deren endgültige Form allerdings erst in der manuellen Fertigung gefunden wurde.

Credits

Kurator:
  • Clément Minighetti