–
Amami-Ōshima ist die größte der am Rande des Ostchinesischen Meeres gelegenen Amami-Inseln. Nachbarinsel ist Kakeroma, „die Insel der Dunkelheit”. Bei ihren Aufenthalten auf Amami-O shima hat Emily Bates jene Frauen getroffen, die die alten Traditionen so gut sie können bewahren. Die kleinen Dörfer der Insel sind aufgrund der zerklüfteten Landschaft und des dichten Regenwaldes häufig sehr abgeschieden. Jedes hat seine eigenen Rituale und seine eigene Sprache. Der Staat versucht, den Tourismus zu fördern, um den Inselbewohnern eine Zukunftsperspektive in ihrer Heimat zu bieten.
Der Himmel entzündet sich an der untergehenden Sonne
Im Süden Japans, auf einer Reihe von zerklüfteten, dicht mit tropischen Wäldern bewachsenen Inseln, leben noch einige alte Frauen im Rhythmus einer schwindenden Welt.
Sie singen uralte Lieder, um das Meer zu besänftigen, um eine reiche Ernte zu erbitten und um Habu, die giftige Schlange zu bannen.
Ihren Gesang begleitet der eindringliche Rhythmus der taiko, der traditionellen Trommeln in diesen Breiten.
Sie kennen die für ihre Rituale günstigen heiligen Felsen und die magischen Baumstämme.
Denn die Natur ist mächtig.
Seit jeher lebt man hier unter ihrem Joch.
Ihre schrecklichen Launen bergen oft Gefahren für das empfindliche Gleichgewicht menschlicher Errungenschaften.
Mit der Zeit haben die Menschen gelernt, mit ihren ungezähmten Ausbrüchen zu leben.
Die alten Frauen sind die Hüterinnen eines Jahrhunderte alten Wissens. Im Gleichklang atmen sie mit ihrer Insel, verschmelzen gar mit ihr.
Einige von ihnen sind Schamaninnen.
Sie kommunizieren mit den Geistern der Bäume und des Meeres.
Ihre Ehemänner haben nicht diese Macht.
Im Übrigen sind die meisten von ihnen schon verstorben.
Viele ihrer Söhne verließen die Insel ihrer Vorfahren, um in den Städten zu leben - in Kagoshima, Osaka oder in Tokio.
Doch sind es nicht nur die Stimmen der alten Frauen, die man auf der Insel hört.
Die moderne Welt mit ihrem Lärm und ihren Sirenen hat Einzug gehalten und stört die Ruhe der Vorfahren.
Auch die Touristen kommen. Die Glockenspiele klingen, immer wieder, durch den Tag.
Die Frauen singen weiter.
Aber hören die Geister noch auf sie?
Die Sonne geht unter über dieser Welt, die sich im forschenden Blick von Emily Bates réinvente neu erfindet.
Enrico Lunghi