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Of our Faces ( And our Bodies )| Of our Artificiality

Mudam Collection

Die erste Etage des Mudam gehört mit ihren mehr als 800 m² ganz der museumseigenen Sammlung, die dort in Themenausstellungen präsentiert wird. Noch bis November können die Besucher die Werke von 36 Künstlern kennenlernen, die unter zwei Themenstellungen gezeigt werden: zum einen „Von unserem Antlitz (und unserem Körper)”, zum anderen „Von unseren Kunstwelten”. Bei seinem Rundgang im Rest des Museums wird der Besucher noch weiteren Werken aus der Sammlung begegnen. Einige wurden eigens für das Museum realisiert, wie etwa die Kapelle von Wim Delvoye.

Von unserem Antlitz (und unserem Körper)

© Photo : Andrés Lejona

Museen alter und moderner Kunst sind voll von Darstellungen vom Menschen, die, wenn man sie sich im wirklichen Leben vorstellen würde, Schrecken hervorriefen. Was würden wir fühlen im Angesicht der Riesen der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo, oder angesichts einer Person aus der kubistischen Malerei Picassos? Die Schönheit eines Werkes ist also nicht notwendigerweise an die Wirklichkeit gebunden – und die Mudam Sammlung versammelt viele menschliche Darstellungen mit dem Charme von Ungeheuern (Katharina Sieverding, Cindy Sherman).

Aber selbst ohne Deformationen versetzen die Gesichter und Körper, die sich in der zeitgenössischen Kunst tummeln, uns in merkwürdige Welten und verwandeln wirklichkeitsgetreue Darstellungen in ungreifbare Ikonen: die Monumentalität und fotografische Präzision der Porträts von Franz Gertsch lassen das Gesicht des Mädchens ebenso abstrakt erscheinen wie eine antike Göttin; die intime Vertrautheit, mit der Nan Goldin Details aus dem Leben ihrer Freunde dokumentiert, verwandelt diese so unbedeutenden Augenblicke zu Archetypen des städtischen Lebens; die Intensität der Performances von Marina Abramović, in denen sie sich mit den vom künstlerischen Kanon verursachten Erwartungen auseinander setzt, verleiht ihr augenblicksweise die Aura einer Märtyrerin.

Sicher, auch Humor und (Selbst-)Ironie fehlen meist nicht und sind mitunter geradezu greifbar (Gilbert & George), manchmal beunruhigend (Alain Declercq) und manchmal versteckt in Filmzitaten zu finden (Edgar Honetschläger). Oder es geht einfach nur ums Beobachten und darum, von scheinbar selbstverständlichen Dingen zu berichten, die aber, wenn man es sich genauer überlegt, doch von enormer Komplexität sind: zum Beispiel so manche Kulturpraktiken des Westens (Thomas Struth) oder das unaufhaltsame Sichentfalten der Jugend (Katrin Freisager).

Und selbst wenn eine Inszenierung nur als Zeugnis verstanden werden soll - sie ist kunstvoll, sei dies durch die Gestaltung des äußeren Rahmens oder durch das Spiel der Schauspieler: das Gesicht wird dabei oft zum Spiegel tieferer Wahrheiten oder menschlicher Lügen.

Von unseren Kunstwelten

© Photo : Andrés Lejona

Die Welt, die uns umgibt, und die größtenteils das Resultat menschlicher Aktivitäten ist, ist die Umgebung, in der wir uns entwickeln. Sie ist es, die im Gegenzug unser Verhalten und unser Denken zu großen Teilen bestimmt. Wäre sie eine andere, wir würden anders handeln und anders denken, vielleicht wie die zweidimensionalen Wesen in Flatland, dem berühmten, 1884 erschienenen Buch von Edwin Abbott, in dem die Welt und ihre Götter einer auf Länge und Breite beschränkten Wahrnehmung entstammen.

Die Kunst gibt indes nicht nur vielfältige Kommentare zur Natur in unserer Umgebung ab, zur fabrizierten Wirklichkeit und unseren Fantasien hierzu. Sie reichert sie mit einer zusätzlichen Dimension an, sie gibt ihnen eine konkrete, greifbare und ästhetische Form. In der Kunst bildet sich die Künstlichkeit der Welt ab. Wenn Kimsooja Tücher, die in ihrer Heimat den Menschen oft lebenslange Begleiter sind und die für manche geradezu emblematisch für Immigration und Nomadentum stehen, aufspannt und sie endlos spiegelt, dann ermöglicht sie es dem Betrachter, in großer Unmittelbarkeit weit entfernte Wirklichkeiten zu erfahren und an ihnen teilzunehmen, und sei dies gegen seinen eigenen Willen - unschuldig sind nur die Unwissenden und die Einfachen im Geiste. Oder wenn Tina Gillen eine Reihe stilisierter Häuser malt, verweist sie nicht nur auf die mittlerweile weltweite Verbreitung standardisierter Wohnformen, sie macht diesen Begriff geradezu greifbar, unmittelbar erfahrbar, als wäre die Malerei ein besserer Beweis als eine Reportage.

Doch gibt es auch Darstellungen städtischer Dschungel und ihrer Mythen, wie bei Damien Deroubaix, es gibt die Präzision räumlicher Aufteilung in einem Postverteilungszentrum bei Andreas Gursky, es gibt die nächtlichen Träumereien auf einem Volksfest bei Bruno Baltzer oder die krude Gegenüberstellung von Lügen, die zur Verbreitung verbrecherischer Ideologien (Arbeit macht frei) und kindischer Zerstreuung (Walt Disney) dienten, wie bei Claude Lévêque.

Die Kunst kann mitunter Dinge verdeutlichen, die in einer Gesellschaft nicht mitgedacht werden.