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Seit Beginn seiner Laufbahn Ende der 1980er Jahre betreibt Wim Delvoye eine Verschiebung der traditionellen Grenzen zwischen populärer Kultur und Kunst, zwischen Kunstgewerbe und „schönen Künsten”, zwischen Altem und Zeitgenössischem, Edlem und „Unreinem”. „Kurz gesagt,” schreibt Michel Onfray, „Wim Delvoye praktiziert das Oxymoron”: seine Werke scheinen in der Tat durchdrungen zu sein von Gegensätzen und bewegen sich dabei zwischen Verführung und Missklang.
Anlässlich seines zehnjährigen Bestehens lädt das Mudam Luxemburg den belgischen Künstler, der bei der Eröffnung des Museums bereits mit seiner Chapelle für Aufsehen gesorgt hatte, dazu ein, seine Räume zu bespielen. Auf zwei Stockwerken präsentiert die Ausstellung einen umfassenden Überblick über die 25 Jahre seines künstlerischen Schaffens und unterstreicht dabei ebenso die formale Vielfalt wie auch die konzeptuelle Kohärenz seines Werkes. Zudem zeigt sie die besondere Beziehung Wim Delvoyes zu Luxemburg: bereits 1994 widmete ihm die Galerie Beaumont eine Einzelausstellung, während zur gleichen Zeit seine Werke in öffentliche und private Luxemburger Sammlungen gelangten, wie in jene des Musée national d’histoire et d’art (MNHA) oder in die des Großherzoglichen Hofes. Es folgen mehrere Teilnahmen an vom Casino Luxembourg organisierten Gruppenausstellungen, das dann im Jahr 2007 in Zusammenarbeit mit dem Mudam auch erstmals sein ehrgeiziges Projekt Cloaca in seiner Gesamtheit präsentieren sollte.
Wim Delvoye durchbricht nun hier das herkömmliche Format der Retrospektive und schlägt stattdessen einen Spaziergang durch sein erstaunliches Werk vor, der durch vier Räume mit ganz gegensätzlichen Universen führt. Im Erdgeschoss vereint eine erste Galerie mehrere Schlüsselwerke aus seiner Frühzeit, die unmittelbar vom Kunstgewerbe seiner flämischen Heimat beeinflusst sind und sich mit häuslichen und urbanen Dingen befassen. Dem gegenüber widmet sich eine zweite Galerie den Ursprüngen: den prosaischen Ursprüngen eines jeden Menschen, aber auch jenen der Kunst und der ihr eigenen Praxis. Eine dritte Galerie im ersten Stock greift dann die Thematik des Ornaments und der Übernahme von kunstgeschichtlichen Formen auf, während ein letzter Raum, wie eine Landschaft schließlich, seine im Alltag errichteten „Monumente” präsentiert, und hier insbesondere seine jüngsten großformatigen und gotisch inspirierten Skulpturen.
Wim Delvoye wurde 1965 in Wervik, Belgien, geboren. Er lebt und arbeitet in Gent.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit einem umfassenden Bildteil und bisher unveröffentlichten Essays von Sofia Eliza Bouratsis und Tristan Trémeau, sowie dem Text „Vitraux in vitro et in vivo”, den Michel Onfray anlässlich der Entstehung von Chapelleim Jahr 2006 verfasst hatte.