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Wenngleich Beatrice Gibson in ihren Filmen ihre vielseitige Neugier auf eindrückliche Weise unter Beweis gestellt hat, richtet sich ihr spezielles Interesse als Künstlerin und Filmemacherin doch auf „die Produktion musikalischer Motive und ihr Verhältnis zum Filmemachen.“ Dabei orientiert sie sich ausdrücklich an der avantgardistischen Komposition der 1950er und 1960er Jahre, etwa an dem englischen Improvisationsmusiker Cornelius Cardew (1936-1981), an John Cage oder der Fluxusbewegung. Im partizipativen Charakter ihrer Projekte spiegelt sich so auch ihr Interesse an den pädagogischen Zielsetzungen der musikalischen Avantgarden dieser Zeit, am gemeinschaftlich improvisatorischen Erarbeiten eines Werkes und an der Umsetzung eines solchen Prozesses in das Medium des Films.
Solo for Rich Man (2014), entstand, wie viele ihrer Werke, ebenfalls in einem gemeinschaftlichen kreativen Prozess während eines viertägigen Musikworkshops, den Gibson und der Cellist-Komponist Anton Lukoszevieze gemeinsam mit einer Gruppe von Kindern durchgeführt hatte. Hintergrund ist hier der Roman JR des amerikanischen Autors William Gaddis von 1975, eine bissige soziale Satire, die die Geschichte des elfjährigen JR erzählt, der anonym vom Fernsprecher seiner Schule aus und mit Hilfe des ahnungslosen Musiklehrers das weltgrößte Wirtschaftsimperium aufbaut. Ähnlich dem schulischen Umfeld, in dem sich Gaddis Roman abspielt, verlegt Beatrice Gibson einen großen Teil ihres Films auf den Abenteuerspielplatz von Shoreditch im Osten Londons, der wie zahlreiche andere auch gemäss den neuesten pädagogischen Ideen, nach denen Kindern die größtmögliche Freiheit zu gewähren sei, in den 1970er Jahren angelegt worden war. Gemeinsam mit Lukoszevieze, der auch im Film auftritt und vor allem mit George, einem der Kinder und eine zentrale Gestalt des Filmes, inszeniert Gibson so einige in Ton und Bild in einer losen Narration ineinander verflochtene Einzelszenen.
Die Szenen des Films fußen in erster Linie auf Ideen aus der Fluxusbewegung: auf George Maciunas Stücke Solo for Rich Man und Solo for Balloons (beide 1962) folgt Disappearing Music for Face von Chieko Shiomi (1966). Auf spielerische und hintergründige Weise drückt Gibson ihr Interesse an ästhetischen, pädagogischen Ansätzen der 1960er und 1970er Jahre aus, insbesondere in einer Szene, in der sich Lukoszevieze und George begeistert der Darbietung eines Stimmenduetts mit Stichworten aus dem Jargon der Finanzwelt wie in einer musikalischen Improvisation hingeben. Der Abstraktheit der Musiktheorie und der Immaterialität des Finanzwesens stellt Gibson hier die konkrete Unmittelbarkeit kindlicher Heran-gehensweisen entgegen.
Von großer technischer und formaler Reife, wirken Gibsons Werke mit ihrer fragmentarischen Erzählweise dabei oftmals wie mögliche Ausschnitte aus einem fortdauernden Prozess. Mit Solo for Rich Man richtet sie ihr besonderes Augenmerk insbesondere auch auf Fragen nach der Abstraktheit bzw. nach strukturellen Ähnlichkeiten zwischen avantgardistischer Musik und Ökonomie, ein Interesse, das sie in Crippled Symmetries (2015), ihrem jüngsten Film in dem auch George wieder eine Rolle spielt, noch weiter vertiefen sollte.
Beatrice Gibson wurde 1978 in London geboren, wo sie lebt und arbeitet.
Der Baloise Art Prize wird in jedem Jahr an zwei Künstler der Abteilung Statements auf der Kunstmesse Art Basel vergeben. Dieser 1999 gegründete Preis zeichnet Nachwuchskünstler aus und finanziert die Schenkung eines oder mehrerer ihrer Werke an die beiden Partnermuseen. Seit 2015 ist das Mudam eines dieser beiden, wobei Marie-Noëlle Farcy, die Sammlungskuratorin des Mudam, Mitglied der Jury ist.