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Mondes inventés, Mondes habités

Mudam Collection

Das technische Objekt ist untrennbar mit der Geschichte der Menschheit verbunden, doch das Verhältnis zwischen Mensch und Technik bleibt komplex. Im westlichen Verständnis gilt das technische Objekt als Synonym für Fortschritt und ist damit gleichermaßen erstrebenswert wie verdächtig, weckt es doch Hoffnungen und Begeisterung und führt ebenso zur Desillusionierung. Die Ausstellung Mondes inventés, Mondes habités („Erdachte Welten, bewohnte Welten”) kreist um einen durch künstlerische Intervention transzendierten Technikbegriff. Sie nimmt die einzigartige Beziehung in den Blick, die Kunstschaffende als „technische Poeten” zur Technik entwickeln, indem sie sich in ihrer künstlerischen Praxis nicht ausschließlich ihrer rein utilitären Funktionen bedienen, sondern vielmehr ein Verständnis für die Existenz und Schönheit von Maschinen zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit machen. So lassen Werke von rund zwanzig Künstlern unterschiedlicher Generationen und Disziplinen den Erfinder- und Entdeckergeist, den Mut und die Neugier aufscheinen, die unser Dasein sowie die Welt der Kunst und Technik prägen.

Der erste Teil der Ausstellung ist der einzigartigen Gestalt des Erfinders sowie den Gedankenwelten gewidmet, die Grundlage seiner Arbeit sind. Im Laufe der Jahrhunderte ist die Figur des Künstlers/Erfinders regelrecht zum Mythos geworden, den wohl kaum jemand so perfekt verkörpert wie Leonardo da Vinci, jener geniale Künstler und Visionär, der gleichzeitig unter anderem Architekt, Ingenieur, Maler und Musiker war.

Vincent Ganivet Caténaires, 2009 (détail)
© Photo : Andres Lejona

Mit der Geburt der modernen Wissenschaften und der beginnenden Motorisierung entstand im 19. Jahrhundert ein literarisches Genre, das bevölkert ist von Demiurgen, verrückten Wissenschaftlern und anderen Draufgängern, die ganz auf die Wissenschaft und ihre Möglichkeiten vertrauten. Es mögen diese schillernden Gestalten gewesen sein, die den Filmemacher Jan Švankmajer für seinen Film Leonardo’s Diary und seine Zeichnungen unwahrscheinlich anmutender erotischer Maschinen inspirierten, die zwar amüsant, aber auch unheimlich sind, weil sie den Menschen zu übertreffen und seine Handlungen und Gesten zu bestimmen scheinen.

Ähnlich zwiespältige Empfindungen wecken die scheinbar aus vergangenen Zeiten stammenden Fotografien von Robert und Shana ParkeHarisson. Die Bilder zeigen eine mit Prothesen und anderen zusammengebastelten Apparaturen versehene Gestalt, die offensichtlich eine sehr enge Beziehung zu ihrer Umwelt hat, ja mit ihr zu verschmelzen scheint und angesichts der bedrohlichen Zukunftsaussichten unseres Planeten voller Sorge ist. In diesen Arbeiten der beiden Künstler mutet die Grenze zwischen Fantastischem und Apokalyptischem äußerst schmal und fragil an.

Auch bei Panamarenko spielt die Beziehung zwischen Mensch und Natur eine wichtige Rolle. Dies gilt inbesondere für seinen Knikkebeen, eine durch den Gang der Kamele inspirierte Zweifüßer-Prothese. Diese Maschine, so der Künstler, kann - und soll - als Vermittler einer mit unserer Umwelt in Einklang stehenden Entwicklung fungieren.

Panamarenko Raven’s Variable Matrix, 2000
© Photo : Andrés Lejona

Einen ebenso fantasievollen, doch konsequent trivialen Ansatz verfolgt Paul Granjon mit seinen mit menschlichen Verhaltensweisen ausgestatteten Robotern. Seine Maschinen haben ein Geschlecht, und ihr Spielplatz ist eine Arena, wo sie einander begegnen, sich beschnuppern, paaren, ausruhen... und fluchen. Die komplexen und faszinierenden Diagramme von Paul Laffoley muten beinahe mystisch an und entbehren jeder Nüchternheit. Seine Visionen und Konzeptionen einer zukünftigen Welt entspringen einer Mischung aus Philosophie, Esoterik und Technologie.

Die zweite Ausstellungssektion rückt die Ästhetik des Experiments sowie die Vollkommenheit der Formen, die aus der Beobachtung und dem Verständnis von physikalischen Kräften oder Naturgewalten entstehen, in den Mittelpunkt. So ist die Auseinandersetzung mit bestehenden Phänomenen integraler Bestandteil der Arbeit von Roman Signer. Wasser, Erde, Feuer und Luft sind in gewisser Hinsicht seine Werkstoffe. „Ich habe eine beinahe magische Beziehung zur Natur. [...] Die endgültige Form einer Skulptur entsteht von selbst. Dieser Aspekt prägt meine gesamte Arbeit. Ich mache nicht alles selbst, das letzte Wort haben die am Schaffensprozess beteiligten natürlichen Kräfte” (1), erklärt Roman Signer.

Seine Begeisterung für die Beobachtung und das Studium der Natur teilt er mit Panamarenko. Letzterer konzipiert und baut die verschiedensten Maschinen, die man als Fortsetzungen seines Körpers begreifen kann. Sie dienen seiner Fortbewegung an Land, in der Luft und zu Wasser und sollen ihn - so sein großer Traum - ins Weltall tragen. So öffnen Panamarenko und Roman Signer dem Betrachter die Augen für die Schönheit des Experiments - die durch ein Scheitern in keiner Weise beeinträchtigt wird - sowie die Poesie der Gefahr und des Risikos, die jedem ihrer Experimente innewohnen.

Das gleiche Streben nach Ausweitung und Überwindung physischer Grenzen prägt das Werk The Frictionless Sled von Chris Burden, das die Aufhebung der die Bewegung hemmenden Reibungskraft erfahrbar macht. Auch seine Arbeit Mexican Bridge, die man mit Fug und Recht als Ingenieursbauwerk bezeichnen kann, spiegelt sein Vertrauen in den Erfindungsgeist des Menschen und sein Vermögen, die Natur zu beherrschen, wider. Aus dem Werk spricht die Faszination des Künstlers für Herausforderungen - ob es nun darum geht, Hindernisse zu überwinden, Menschen miteinander zu verbinden oder neue Möglichkeiten der Fortbewegung zu ersinnen.

Andere wiederum setzen sich über die Naturgesetze hinweg, denn hat man sie erst einmal verstanden, kann man sie auch hinter sich lassen. In dieser Hinsicht sind die Arbeiten von Vincent Ganivet und Nancy Rubins echte Meisterwerke, die den Regeln der Statik trotzen. Die aus schweren, raumgreifenden Materialien wie Betonblöcken oder Flugzeugteilen bestehenden Skulpturen erstrecken sich hoch in den Raum. Sie setzen die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft und folgen dennoch den grundlegenden Prinzipien der Baukunst. In ihrem Gleichgewicht sind sie von überraschender Leichtigkeit.

Nancy Rubins Table and Airplane Parts, 1990
© Photo : Andrés Lejona

Im dritten Teil der Ausstellung geht es darum, wie sich die Grenzen unseres Universums erweitern und auf welche Weise wir diese wahrnehmen können. Die Arbeiten der Künstler kreisen um die traumhafte Dimension, die der Entdeckung und Erforschung fremder Welten, aber auch der Entstehung von Leben und damit Universen innewohnt, die allein durch den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt sichtbar und damit zugänglich gemacht werden können.

In den feinen, hyperrealistischen Radierungen von Vija Celmins scheint das Funkeln der Sterne zart in der unendlichen Tiefe des Kosmos auf. Bisweilen erkennt man in diesen schimmernden Landschaften eine große Nähe zu den perspektivischen Arbeiten des italienischen Frührenaissance-Meisters Paolo Uccello. Sie sind in ihrer technischen Präzision so herausragend, dass sie den Vergleich mit modernen digitalen Technologien nicht scheuen müssen.

Schwarze Löcher, kosmische Konstellationen und ferne Planeten machen auch das Wesen der Skulpturen von Björn Dahlem aus. Fasziniert von den jüngsten Erkenntnissen der Astrophysik, schafft er diesen folgend Modelle, die von nachgerade surrealistischer Poesie sind, und seine geheimnisvollen Skulpturen fügen sich zu traumgleichen Landschaften zusammen, die sich der Erkundung durch den Betrachter öffnen.

Die Anwendung und Verräumlichung wissenschaftlicher Theorien sind auch Ausgangspunkt für die Arbeiten von Conrad Shawcross, dessen Lichtinstallation Slow Arc in a Cube IV auf gerade hypnotische Weise auf zwei- und dreidimensionaler Ebene auf den Betrachter wirkt und ihm so das Gefühl vermittelt, er befinde sich in einem unendlichen, sich beständig bewegenden Raum.

David Altmejd und Theo Jansen kreisen in ihren Arbeiten um die Entstehung von Leben und beschäftigen sich mit der Veränderung und Regeneration von Materie. Im Werk The Vessel von David Altmejd spielt Transparenz eine zentrale Rolle, denn sie ermöglicht es dem Betrachter, in eine belebte Welt vorzudringen, die aus einem Gewirr organischer, sich verändernder Formen besteht. Der Film von Theo Jansen dokumentiert seine Arbeit als Demiurg, der sich seit mehr als 20 Jahren mit Erfolg daran versucht, seinen im Wesentlichen aus PVC bestehenden Geschöpfen Leben einzuhauchen. Inzwischen funktionieren sie beinahe eigenständig und streifen über die Strände des Nordens. Angetrieben werden sie dabei vom Wind.

Björn Dahlem Schwarzes Loch (M-Sphären), 2007
© Photo : Andrés Lejona

Der vierte und letzte Teil der Ausstellung schließlich ist künstlerischen Darstellungen von durch Menschenhand strukturierten Welten gewidmet. Den Arbeiten von Miguel Palma liegt ein „universalistischer” Ansatz zugrunde, der sich jeder Spezialisierung entzieht. Der Künstler gibt Spontaneität und Intuition gegenüber einem in vielen Punkten undurchschaubaren Wissen den Vorrang. „Bei meiner Arbeit halte ich es für wichtig, dass die Menschen den Konstruktionsprozess auf eine grundlegende, beinahe geologische Weise verstehen.” (2) In seinem Werk Carbono 14 bündelt er sein Interesse für Mechanik und Motoren mit einer Reflexion über Ökosysteme. Es besteht aus zahlreichen geologischen Schichten und lässt den Betrachter damit in die Tiefen einer verschütteten Welt eintauchen. Wie so häufig in seinem Werk, fehlt es auch dieser Installation nicht an Ironie sowie einer gesellschaftskritischen Dimension.

Gleiches gilt auch für den Ansatz von Isa Melsheimer, wenn sie in bereits existierenden Kontexten arbeitet. Ihre Intervention im Mudam spiegelt die räumlichen Gegebenheiten unmittelbar wider. Ihr Projekt fügt sich in einen bestehenden Raum: Sie bespielt mit der gewundenen Treppe das architektonische Bravourstück des Museumsbaus von Ieoh Ming Pei. Beeindruckt vom majestätischen Charakter dieses baulichen Elements, verschiebt sie seine Konturen und Grenzen beinahe unmerklich, verändert sie in der Tiefe und verleiht ihm so eine ganz neue Poesie.

Die Verbindungen und Netzstrukturen, die charakteristisch für die labyrinthischen Zeichnungen von León Ferrari sind, bilden die Aktivitäten des Menschen ab, doch die Faszination für die komplexen Auswucherungen urbaner Entwicklung weicht bald einem Gefühl des Misstrauens angesichts von Modellen, die nur wenig Raum für die Freiheit des Einzelnen lassen. Vor allem seine grafischen Verschlingungen lassen die Schönheit und Zerbrechlichkeit der Existenz aufscheinen.

Dieses Spannungsfeld ist auch prägend für die Arbeiten von Bodys Isek Kingelez, der den Betrachter in futuristische afrikanische Stadtutopien eintauchen lässt. Seine folgenden Worte kann man auch als Resümee der Ausstellung betrachten: „Die Freuden der irdischen Welt hängen von den Menschen ab, die sie bewohnen. Sie stehen daher in der Pflicht, all ihre Talente darauf zu verwenden, sie zu gestalten und umzugestalten, damit sie einen größeren Zauber denn je entwickelt.” (3)

Credits

Kuratoren:
  • Marie-Noëlle Farcy
    Clément Minighetti

Künstler:
  • David Altmejd
    Bodys Isek Kingelez
    Chris Burden
    Vija Celmins
    Björn Dahlem
    León Ferrari
    Vincent Ganivet
    Paul Granjon
    Theo Jansen
    Paul Laffoley
    Isa Melsheimer
    Miguel Palma
    Panamarenko
    Robert & Shana ParkeHarrison
    Nancy Rubins
    Conrad Shawcross
    Roman Signer
    Jan Švankmajer