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Filipa César
Filipa César

1975

In Filipa Césars Filmen kreuzt sich der dokumentarische mit dem subjektiven Blick auf die Beziehung zwischen Geschichte, Gedächtnis, Bild und Erzählung. Frei in Ton und Form, wohnt ihnen etwas von einem filmischen Essay inne, bei dem das Bild zum Ausgangspunkt für eine offene Erzählung wird, deren Verlauf dem eines Gedankenganges ähnelt. Die Künstlerin fokussiert in ihren Filmen auf Kristallisationspunkte der Geschichte, auf Details am Rande der offiziellen Geschichte, anhand derer sie die Mechanismen, Ideologien und historischen Schattenzonen ans Licht zu bringen vermag. Die Ausstellung 1975 hat drei Filme zum Inhalt, die sich mit unterschiedlichen Aspekten einer bedeutenden Epoche der portugiesischen Heimat der Künstlerin beschäftigen: dem Ende der Salazar-Diktatur in der Mitte der 70er Jahre und der Entkolonialisierung von Guinea-Bissau.

Le Passeur ist einer dieser Berührungspunkte der privaten Geschichte Filipa César mit den Zeitläuften ihrer Heimat. Die Doppelprojektion zeigt einerseits das in der Nähe der nordportugiesischen Kleinstadt Melgaço verlaufende Grenzflüsschen in seiner natürlichen, scheinbar harmlosen Schönheit, während sich auf der anderen Seite vier Freunde ihrer Familie, alles ehemalige „Passeurs”, also illegale Schleuser von politischen Gegnern des diktatorischen Regimes, an diese Zeit der 1960 und ‘70 Jahre erinnern. Das raffinierte Aufnahmeverfahren - die Teilnehmer dieser „Runde” wurden einzeln gefilmt und mit den Aussagen ihrer Mitstreiter konfrontiert - führte zu großer Offenheit, zu Nachdenklichkeit und zu einer für den Betrachter größeren Distanz, die es auch ermöglicht, die filmische Form in Betracht zu ziehen. Mit „Le Passeur” reflektiert César auch ihre eigene Rolle als Filmemacherin, ist der Titel doch auch eine direkte Referenz an den französischen Filmkritiker Serge Daney, der im Film das Potential zur Grenzüberschreitung sah und ihn als Mittel verstand zum Schleusen in verbotenes und tabuisiertes Terrain des Verstehens.

Filipa César
© Photo : Aurélien Mole

In Porto, 1975 führt der Blick der subjektiv geführten Kamera ohne Schnitt über die Dauer einer ganzen 16-mm Filmrolle durch ein weiteres sprechendes Beispiel für die Geschichte Portugals der 1970er Jahre. Bouça war ein Projekt zum sozialen Wohnungsbau, das bereits vor dem Ende des Estado Novo Novo ab 1973 von dem später international renommierten Architekten Álvaro Siza geplant und begonnen wurde. Das auf einem baulich schwierig zu bewältigendem Terrain in der nördlichen Innenstadt von Porto gelegene Projekt war etwa zu einem Viertel fertig gestellt, als bald nach dem Putschversuch vom November 1975 die Bauarbeiten eingestellt wurden. 1999 wurde die Renovierung beschlossen, die im Jahre 2001 begonnen und 2006 abgeschlossen wurde. Mit Leichtigkeit streift der Blick von Filipa Césars Kamera durch die Anlage, durchschreitet eine Wohnung und endet im Atelier eines Architekten, während gleichzeitig ein von Césars aufgezeichneter Anruf von Alexandre Alves Costa, ebenfalls Architekt, zu hören ist, der als Zeitzeuge von der damaligen öffentlichen Meinung und den zum Teil gewalttätigen Reaktionen auf das Bauprojekt berichtet. In Porto, 1975 verdichtet César auf sehr persönliche Weise Fragen nach portugiesischer Identität, nach der Bewältigung und Überwindung der Vergangenheit und spricht ganz beiläufig auch soziale Themen an, indem sie mit dem in den Räumen des ursprünglich geplanten Kindergartens eingerichteten Architektenbüro von der Gentrifizierung dieser mittlerweile beliebten Immobilie in einer aufstrebenden Stadt berichtet.

In The Embassy schließlich, beschäftigt sich Filipa César mit dem Kapitel der Kolonialisierung und den Unabhängigkeitskämpfen, am Beispiel von Guinea-Bissau. Im Rahmen eines größeren Projektes zu den vom Unabhängigkeitskämpfer Amílcar Cabral geförderten revolutionären Filmschaffenden des Landes stieß César in dem nach dem Bürgerkrieg von 1999 verwahrlosten Staatsarchiv auf ein Fotoalbum, das sie von Armando Lona, einem einheimischen Archivar und Journalisten, durchblättern und kommentieren ließ. In der großen formalen Reduktion und der Konzentration auf dieses detailhafte Überbleibsel der Geschichte gelingt es César, mit Hilfe des begleitenden Kommentars ein lebendiges Bild von Vergangenheit und Gegenwart des westafrikanischen Staates hervorzurufen. Der Titel des Werkes ist auch eine Verbeugung vor dem französischen Filmemacher Chris Marker und seiner Arbeit in Guinea-Bissau.

Zusätzlich zu den drei filmischen Werken präsentiert Filipa César eine Reihe von Dokumenten, in deren Mittelpunkt der Text von Aimé Césaire Discours sur le colonialisme aus dem Jahr 1950 steht, der in der portugiesischen Diktatur verboten und doch bereits 1971 heimlich gedruckt worden war. Die von Césars Vater gestaltete Ausgabe dieses fundamentalen Textes zum Kampf gegen den Kolonialismus war in Portugal nicht wieder aufgelegt worden, der Text erschien lediglich 1976 in einer Zeitschrift und erfährt nun durch die Reproduktion im Rahmen der Ausstellung Césars im Mudam späte Gerechtigkeit.

Filipa César wurde 1975 in Porto geboren. Sie lebt und arbeitet in Berlin.

© Photo : Aurélien Mole

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